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"... und du machst dich einfach aus dem Staub"

 
Kurz von unserer letzten längeren Reise bekam ich von einer sehr nahestehenden Person eine Nachricht, die ganz klar machte, dass sie den Lebensstil des langen Unterwegsseins unmöglich und verantwortungslos findet. Sie schloss den Vorwurf mit dem Satz: "... und du machst dich einfach aus dem Staub."
   
Zurerst war ich völlig konsterniert, dann wütend, dann sehr traurig und schließlich wurde ich nachdenklich. Ist da womöglich was Wahres dran? Ist es tatsächlich ein "sich aus dem Staub machen"? Also: andere einfach zurücklassen mit ihren Problemen und Bedürfnissen, und sich selbst ein schönes Leben machen?

 
Natürlich war mir klar, dass nicht jeder Lust darauf hat, wochen- oder monatelang auf engstem Raum irgendwo in der Weltgeschichte herumzugondeln. Natürlich ist mir klar, dass manche es seltsam finden, dass ich mich oft für so lange Zeit verabschiede (wobei die "richtigen" Digital-Nomaden sich über die Dauer kaputtlachen würden). Doch ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es mir jemand nicht gönnen und es mir sogar sehr übelnehmen würde. Eine gute Gelegenheit, sich Gedanken zu machen, wie man sich verantwortungsvoll "aus dem Staub machen" kann.

 

Braucht jemand Daheim-Gebliebener tatkräftige Hilfe?

Für uns steht außer Frage, dass wir niemanden zurücklassen werden, der uns aufgrund von Krankheit oder anderer schwerwiegender Probleme dringend braucht. Selbstverständlich würden wir dann eine Lösung finden, z.B. auf kürzere Trips oder Routen in der Nähe zurückgreifen, um für diese Menschen voll da sein zu können. Dabei ist es für uns übrigens völlig unabhängig ob uns die Familie, Freunde oder unser Kater braucht. Ich bin überzeugt, dass es immer eine Lösung geben wird, die für alle gut ist.

  

Wie kann ich für andere da sein, ohne vor Ort zu sein?

Oft geht es aber gar nicht um Notfälle oder Krisen, sondern einfach um das Bedürfnis, für nahestehende Menschen als Zuhörerin, Aufmunterin, Ratgeberin, Austauschpartnerin ... da zu sein. Im digitalen Zeitalter ist das eigentlich gar kein Problem mehr. Man kann ein gemütliches Pläuschen via Skype, FaceTime oder Zoom überall dort machen wo WLAN ist. Man kann sich über WhatsApp über akute Befindlichkeiten und den neuesten Tratsch austauschen und natürlich auch telefonisch füreinander da sein. Ich denke, hier ist für mich die Herausforderung, dass ich diese Verbindungen nicht ruhen lasse, bis ich wieder da bin, sondern dass ich sie kontinuierlich pflege, egal wo ich bin.

   

Wie funktioniert Nähe über größere Distanzen hinweg?

Eine Freundin meinte mal zu mir, dass sie über meinen Reiseblog viel mehr über mich erfahren hat als in den Jahren zuvor. Das fand ich witzig. Und zeigt mir auch, dass ich neben dem öffentlichen Blog auch weiterhin für eine Handvoll guter Freunde mein persönliches Foto-Reisetagebuch pflege. Damit ich etwas präsent bin. Und sehr wichtig finde ich, mich mit wirklich guten Freunden auch ganz individuell auszutauschen und in Kontakt zu bleiben. Ich denke, Präsenz und Kontinuität sind hier die Zauberworte.

  

Wie kann ich im aktuen Fall präsent sein?

Und falls mal irgendwas Akutes und Besonderes vorfallen sollte, ist es ja gar kein Problem zum nächsten Flughafen zu fahren, heimzufliegen und für ein paar Tage oder gar Wochen zu Hause zu sein und zu unterstützen, wo ich gebraucht werde. Ich bin ja nicht wochenlang in einem Urwald ohne Kontakt zur Außenwelt gefangen, sondern in der Zivilisation Europas unterwegs. Außerdem gibt es auch immer die Möglichkeit, dass jemand spontan kommt und uns besucht und einige Zeit mit uns verbringt. Für unsere Tochter ist z.B. immer ein Notfallflug in der Sparbüchse :-).

  

Wie kann ich den eigenen Bedürfnissen und denen anderer gerecht werden?

Auch für uns selbst ist das Zusammensein mit Familie und Freunden natürlich sehr wichtig. Gemeinsame Erlebnisse zu haben ist etwas anderes, als nur in Kontakt zu sein. U.a. deswegen haben wir uns entschieden, nicht ganzjährig, sondern vorerst maximal ein halbes Jahr unterwegs zu sein. Und wenn wir dann zu Hause sind, nehmen wir uns richtig Zeit für andere. Quality Time ist dann angesagt. Und zugleich achten wir darauf, dass wir uns in diesen Phasen nicht überfordern, sondern unsere ungeteilte Aufmerksamkeit auf die Menschen richten, die uns wirklich wichtig sind.

 

 

Ich denke, dass ich für mich jetzt gute Klarheit bekommen habe, wie ich meine Lebensweise, meinen Lebenswunsch verwirklichen kann ohne andere vor den Kopf zu stoßen. Vielleicht muss ich meine Überlegungen hierzu in Zukunft etwas mehr kommunizieren.

 

 

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