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Wenn Reise-Erlebnisse zu Statussymbolen werden

 
Reisen bedeutet für mich nicht nur das Kennenlernen anderer Länder und Kulturen, sondern auch der Austausch mit Gleichgesinnten. Gerade dann, wenn man nur 1 bis 2 Tage an einem Ort ist, finde ich es äußerst anregend mit anderen Reisenden ins Gespräch zu kommen (vielleicht am Lagerfeuer) und Infos, Routen und Erlebnisse und irgendwann dann auch Gedanken über das Leben an sich ;-) auszutauschen. 
  
Manchmal artet so ein "Gespräch" jedoch in eine Art Ringkampf aus. Wenn immer wieder mit gezielter Beiläufigkeit erwähnt wird, wie cool man in einer brenzligen Situation blieb, wie schnell man von Einheimischen eingeladen wurde, wie gut man eine schwierige Strecke gemeistert hat, welch tolle Freisteh-Plätze man 'entdeckt' hat, wie ursprünglich die Gegend war, wo man praktisch der erste Tourist war, wie unglaublich reiseerfahren man ist, wie schwer das Material zu bekommen war usw. usw. Wenn eben Reise-Erlebnisse zu Statussymbolen werden.
  
Das habe ich in meinem Reisealltag schon unzählige Male erlebt. Früher hat mich das total aufgeregt, doch irgendwann habe ich mich an die in allen Lebenslagen passende Weisheit meiner Oma erinnert. Sie hat immer gesagt: "Einem Sprüchemacher muss man was geben, einem Jammerer was nehmen." 
   
In diesem Falle habe ich mir angewöhnt, dem Sprüchemacher Aufmerksamkeit zu geben, nachzufragen und Zeit zu schenken, damit er alles loswerden kann, was ihn vermeintlich über die anderen Reisenden hebt. Sobald das große Bedürfnis nach Anerkennung nämlich gestillt ist, beginnt meist ein richtiges Gespräch. Dann ist es ein echter Austausch, man gibt Infos und man nimmt Infos gerne an. Beide Seiten stellen Fragen und geben dem anderen Raum. Es wird gegenseitig zugehört - so dass es eben Spaß macht. Und meist lohnt es sich, diese Geduld aufzubringen, ich hatte schon viele tolle Gespräche mit anfänglichen Sprüchemachern.
   
Warum es mir mittlerweile (meist) leicht fällt, geduldig zu bleiben
1) meine Status-Phobie hilft sehr: irgendwie hab ich schon immer eher das Gegenteil von Statusdenken. Privilegien und das Zeigen von Statussymbolen sind mir ein Geräul. Als ich in einem Artikel las, dass VW Busse Statussymbole seien, hätte ich ihn fast wieder abbestellt ;-). Daher muss ich meist nicht in den Wettkampf um das tollste Reiseerlebnis einsteigen. 
   
2) meine Freude am Zuhören: Grundsätzlich bin ich jemand, der lieber zuhört als selbst viel erzählt von sich, der Familie, der Arbeit, den Reisen. Einfach, weil ich das ja schon alles kenne, die Geschichten der anderen jedoch nicht. Und ungefragt anderen meine Themen aufdrängen liegt mir nicht so sehr. Wenn ich gefragt werde, ist das was anderes. Gespräche mit anderen guten Zuhörern mag ich übrigens am liebsten - die hallen oft noch lange nach. 
  
Wenn du dich fragst, wie das mit diesem Blog zusammenpasst: ganz einfach - jeder hat ja die Möglichkeit zu entscheiden, ob er lesen will oder nicht. Ich finde das eher unaufdringlich.
  
3) ich kann das Bedürfnis nach Anerkennung hinter dem Sprüchemachen sehen. Und das finde ich überhaupt nichts schlechtes. Wir alle brauchen das - manche halt mehr, manche weniger. Und wie gesagt: wenn es einmal befriedigt ist, dann treten oft sehr interessante Menschen hervor.
  
  
Leider gelingt es mir nicht immer, zurückhaltend zu reagieren, manchmal steige ich drauf ein. Und ärgere mich hinterher maßlos darüber, denn es hat weder Freude gemacht, noch was gebracht außer einem schalen Gefühl, Zeit verschwendet zu haben. 
    
Ich arbeite weiter daran und freue mich an den vielen wirklich guten Gesprächen :-).
  

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