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Mikro Trip - Grenzen testen am Breitenstein

Der Weg scheint normal und einfach zu sein - aber er kann auch in einen Abgrund führen
Der Weg scheint normal und einfach zu sein - aber er kann auch in einen Abgrund führen

 

 

Nach einer heißen Arbeitsphase wollte ich mir mal wieder einfach eine kurze Auszeit auf dem Berg nehmen. Ohne ein mentales, berufliches oder emotionales Ziel, sondern einfach nur um die Beine zu spüren, Ausblick zu genießen und draußen zu sein. Doch es kam anders als erwartet. Es wurde zu einem Kurztrip zu mir selbst.

 

Ich suchte mir den Wanderparkplatz in Birkenstein als Übernachtungsplatz aus (mit Parkster App bezahlen - 10€ für ca. 16h), da man dort 24h stehen darf und direkt von dort aus auf den Breitstein wandern kann.

 

Außer mir war kein einziges Auto dort. Natürlich ist das kein klassischer Stellplatz, aber das Übernachten wird wohl geduldet. Ich kam spät an und wollte morgens um 5:30 Uhr losgehen, denn der Breitenstein ist einer der beliebtesten Berge, auf dem es schon Warteschlangen gab, um ans Gipfelkreuz zu kommen. 

 

Ich dachte mir: wenn das Wetter nicht 100%ig super angesagt ist und ich unter der Woche außerhalb von Ferienzeiten hinaufwanden, wird es entspannt sein. Um es vorweg zu nehmen: es war nicht entspannt. Aber aus anderen Gründen.

Die Nacht

... war extrem. Gegen Mitternacht kam ein Unwetter auf, das so nicht angesagt war und so krass war, dass ich mich vom Dachzelt für eine Stunde nach unten verzog und sicherheitshalber das Dach schloß. Der Sturm tobte, Blitze, Donner und Wassermassen ergossen sich auf den Bus. Und ich saß drinnen und hatte wirklich Herzklopfen. Zum Glück stand ich nicht direkt unter den Bäumen, sonst hätte ich Angst gehabt, dass mir Äste drauf fallen.

 

Nach etwa einer Stunde war der Spuk wieder vorbei. Ich merkte es v.a. daran, dass ich wieder beruhigendes Kuhglocke-Gebimmel direkt auf der Wiese nebenan hörte. Also klappte ich das Dach wieder aus und schlief bis morgens um 5:30 Uhr - und das richtig gut und fest. 

Die Wanderung (zu mir selbst)

Wie immer gut ausgerüstet marschierte ich nach meinem Morgentee los. Der Boden war zwar noch etwas feucht, aber nicht rutschig, so dass ich ein gutes Gefühl hatte. Doch immer wieder beschlichen mich Zweifel wegen des Wetters: dunkle Wolken, immer wieder Wind ... und natürlich kein Mensch außer mir unterwegs.

 

Und dann kamen meine tiefsitzenden Überzeugungen an die Oberfläche: "wer A sagt, muss auch B sagen". "Wenn du etwas angefangen hast, musst du es auch durchziehen". "Aufgeben ist keine Option". ... Solche Glaubenssätze sind in den Bergen bei unklarer Wetterlage alles andere als hilfreich - ja sogar höchstgefährlich. 

 

Zum Glück wurden sie mir auf dem Weg sehr bewusst - sie sind mir ja durchaus vertraut. Während ich Schritt für Schritt weiterging, versuchte ich einen Deal mit mit auszumachen: Wenn es heftig zu regnen beginnt: umkehren. Wenn Gewitter aufzieht: umkehren. Wenn es starke Windböen gibt: umkehren. Wenn der Boden rutschig wird: umkehren. 

 

Für die meisten sind diese Regeln sicherlich sonnenklar, für mich nicht. Aufhören, obwohl ich ein Ziel nicht erreicht habe, fällt mir extrem schwer. Wenn die Situation wirklich gefährlich wird, dann tue ich es natürlich. Bleibt es im Grenzbereich, ist es tatsächlich ein innerer Kampf.

 

Die erste kritische Situation war beim Aufstieg: eine riesige Fichte lag auf dem Weg. Ich musste buchstäblich durch sie hindurch kriechen. Ich denke, viele hätten dieses Hindernis zum Anlass genommen, umzukehren. Denn wo ein großer Baum umgekippt ist, knicken womöglich auch noch andere ein. Ich kroch da also durch und ging weiter. 

 

Und dachte über meine Hartnäckigkeit nach, die mir schon oft geholfen hat, aber auch problematisch sein kann. Wie kann ich einen Mittelweg finden? Eine Lösung hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.

 

Nach 2,5 Stunden war ich kurz unter dem Gipfelkreuz des Breitensteins. Da lag eine Kuh mitten auf dem Weg und sah nicht freundlich aus. Als ich mich näherte, stand sie auf und senkte den Kopf. Ich wollte aber unbedingt auf den Gipfel, der doch schon so nah war. Also schlug ich einen weiten Bogen um die Kuh - durch das feuchte und daher etwas rutschige Gras.

  

Als ich wieder auf den Weg zurückkehrte, stand da plötzlich eine Gemse und stieß unvermittelt einen durchdringenden Pfiff (!) aus, der mir durch Mark und Bein ging. Ich wusste gar nicht, dass Gemsen pfeifen können - dementsprechend heftig erschrak ich.

 

Mit zitternden Knien ging ich schließlich die letzten Meter hinauf bis zum Gipfelkreuz. Der Rundblick war toll, doch so richtig genießen konnte ich ihn nicht. Der Wind pfiff mir um die Ohren, und dunkle Gewitterwolken waren im Anmarsch. 

 

Also kein entspanntes Gipfelglück, sondern zügiger Abstieg. Mir schien es ein bisschen wie ein Wettlauf gegen die Zeit. Etwa bei der Hälfte auf dem Weg nach unten ging dann plötzlich der Regen los und prasselte auf mich ein. Zum Glück hatte ich meinen langen Regenmantel dabei, der mir Schutz bot. Ich schritt schnell, aber vorsichtig voran, und das freie Feld zu verlassen und in den Wald zu kommen. Ob das so klug war? Das Gewitter war aber noch recht weit weg. 

 

Ich kam gut voran und zu meiner Erleichterung kamen mir im unteren Drittel noch ein Wanderer und später zwei Wandersfrauen entgegen. Irgendwie war das tröstlich. 

 

Nach 5 Stunden kam ich wohlbehalten und froh zum Bus zurück. Erleichtert, dass  alles gut gegangen war, kochte ich mir einen heißen Tee und ließ die Stunden Revue passieren. Es gab mehrere Momente, wo ich auch umkehren hätte können, vielleicht sogar sollen. Doch im Grunde war es zu keiner Zeit wirklich gefährlich. 

 

Trotzdem habe ich auf dieser Wanderung viel über mich gelernt. Und für mich beschlossen:

  • Wer A sagt, muss noch lange nicht B sagen
  • Wenn ich etwas angefangen habe, was sich nach einer Zeit als nicht sinnvoll erweist, sollte ich es auf keinen Fall durchziehen
  • Aufgeben ist immer eine Option!
  • Aufgeben kann ich durch "Überdenken" ersetzen und erlaube mir jegliche Entscheidung

 Eine Wanderung der besonderen Art, die ich trotz allem nicht missen möchte.


Wanderparkplatz Birkenstein - ganz allein
Wanderparkplatz Birkenstein - ganz allein
Nach einer Unwetternacht sieht alles ganz ok aus!
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Die erste Hürde: Fichte auf dem Weg
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Gipfel rückt näher - das schlechte Wetter auch
Gipfel rückt näher - das schlechte Wetter auch

Gipfel erreicht
Gipfel erreicht
War ein kurzer erhebender Moment - dann zügig Absteigen!
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Ort in Sicht!
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Egal was ist: die Bergwelt ist einfach immer faszinierend
Egal was ist: die Bergwelt ist einfach immer faszinierend


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